Impuls für die Woche

„Aber Jesus sprach: Lasset die Kinder und wehret ihnen nicht, zu mir zu kommen; denn solchen gehört das Himmelreich. Und er legte die Hände auf sie und zog von dort weiter.“ Matthäus, Kapitel 19, Verse 14 und 15

Mal ganz ehrlich, Jesus konnte Kranke heilen, Tote erwecken und übers Wasser gehen. Da schafft er es nicht die Kinder zu segnen, ohne sie anzufassen? Sie sollen zu ihm kommen und er legt ihnen die Hände auf. Entgegen der damaligen Auffassung sind ihm die Kinder sogar besonders wichtig und er spricht ihnen eine außerordentliche Bedeutung zu, denn bei Lukas im Kapitel 18 lesen wir im Vers 17:

„Wahrlich ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“

Ich versuche mir diese Szene in der heutigen Zeit vorzustellen. Mindestabstand und Mundschutz. Lasset die Kinder zu mir kommen, aber nicht dichter als 1,5 Meter bitte.

Wenn ich so dabei bin, dann kommen mir noch ganz andere Sachen in den Sinn. Haben Sie mal darüber nachgedacht, warum man „Trost zusprechen kann“, aber „Kraft tankt“? Am Anfang der Schutzmaßnahmen war man ja noch ganz froh, dass man Gottesdienste jetzt auch online sehen kann. Ebenso wurde klar, dass die technische Ausstattung der Schulen eine Katastrophe ist und viele Lehrer eben doch nicht so fit im Bereich moderner Medien sind. Da waren die einen, die sich eher pragmatisch der Herausforderung stellten, die anderen, die mit viel Engagement die fehlende Präsenz des Lehrers auszugleichen versuchten und die enthusiastischen, die jetzt endlich mal zeigen konnten, was man per Videochat und Onlineplattformen alles mit Schülern erreichen kann. Aber wissen Sie was? Es heißt gar nicht umsonst, Kraft tanken und Trost zusprechen. Ein Kind zu segnen heißt, die Kraft Gottes in die Seele des Kindes zu legen, ihm zu versichern, dass Gott ihm ganz nahe ist. Wenn der Papst zu Ostern seinen Segen vom Balkon rieseln lässt wie Wasser aus der Gießkanne ist es immer noch persönlicher und näher als durch den Bildschirm. Wir haben in der evangelischen Kirche keinen Papst. Bei uns wird durch Handauflegen gesegnet, ob beim Abendmahl oder im Schuljahresabschlussgottesdienst. Haben Sie mal versucht ihre Tanköffnung am Auto zu treffen, wenn Sie mit der Zapfpistole 1,5 Meter Abstand halten müssen?

In meiner ersten Andacht nach der Schulschließung habe ich versucht, uns Trost zuzusprechen, indem ich an das Vaterunser als verbindendes Glied zwischen den Gläubigen erinnert habe. Inzwischen merke ich, dass ich mehr als Trost brauche. Mir fehlt die Kraft. Diese Kraft habe ich immer bekommen, wenn ich in der Schule war und zwischen all unseren Kindern stand. Eine Schule ohne Kinder ist nicht einfach nur leer, ihr fehlt die Kraft, der Atem. Auch wenn manchmal mein Zorn oder der meiner Kollegen über die Kinderköpfe gefegt ist, wie Gewitterwind im Sommer über das Getreide, so zeigt die Anzahl der verheulten Taschentücher am Schuljahresende doch in jedem Jahr, wie dicht am Herzen die Kinder bei ihren Lernbegleitern sind. Kinder sind Kraftspender und Energiequellen ohne Gleichen. Jesus wusste das. Er ließ die Kinder zu sich kommen, um seine Kraft auf sie zu geben. Christus hat ihnen den Segen nicht zugeworfen wie Brotkrumen. Er hat ihnen die Hände aufgelegt. Mir blutet das Herz und ich denke, jedem meiner Kollegen auch, wenn ich daran denke, dass es womöglich keinen Abschlussgottesdienst geben wird. Wir werden die Kinder ohne den Segen Gottes und unseren ganz persönlichen Zuspruch aus unserer Obhut entlassen.

Es ist eine schwierige Zeit. Nicht nur, weil Corona ist. Mir ist ganz schwindelig von den vielen verschiedenen Meinungen und Vorschriften. Die Schulen sollen geöffnet werden. Aber es gibt viele Tausend verschiedene Möglichkeiten wie das erfolgen soll. Die wissenschaftlichen Meinungen der Experten gehen auseinander. Während die einen sagen, Kinder sind kaum gefährdet und auch kaum gefährlich, zeichnen andere Virologen das Bild der gefährlichen Keimschleuder auf jedes Kindergesicht. So verschieden die Ansichten der Wissenschaftler, die von unseren Politikern zu rate gezogen werden, (Komischer Weise sind Experten in diesem Falle sehr gefragt, beim Klima eher nicht.) so unterschiedlich auch die Einstellung der Eltern. Die einen (wie ich) wären sehr froh, wenn die Schule endlich wieder losgeht und man seine Kinder in diese schicken könnte. Andere dagegen sind vorsichtiger und plädieren für Schulschließungen bis zum Ende des Schuljahres. Wenn es nicht für zusätzliche Verwirrung sorgen würde, wäre ich ja für eine Abstimmung darüber, ob wir Masken in der Schule tragen sollten oder nicht und wenn ja, wo. Wir sind nicht so viele Kollegen, aber ich befürchte, wir hätten Meinungsvielfalt. Von den Meinungen der Elternhäuser ganz zu schweigen.

Ich bin ja eher querbegabt, was mir vielleicht tiefere Einsichten in die Logik versperrt. So vermag ich wohl zur Kenntnis zu nehmen, dass Kinder potenzielle Überträger der Krankheit sind, was man so genau nicht weiß. Die Schlussfolgerung, sie darum zur Erhaltung des Allgemeinwohls so lange wegzusperren und sie ihrer kraftspendenden Kontakte zu berauben, erschließt sich mir dagegen nur bedingt.
In Deutschland sterben jährlich etwa 120.000 Menschen nachweislich an den Folgen des Rauchens, davon 30.000 Passivraucher. Seit langem ist bekannt, welche verheerenden Folgen das Rauchen hat. Es gibt trotzdem Menschen, die rauchen. Alles gut, persönliche Entscheidung. Gibt es inzwischen eigentlich dieses Gesetz, dass man im Auto nicht rauchen darf, wenn Kinder mit an Bord sind? Ich glaube, Werbung mit lachenden Rauchern ist auch noch erlaubt. Dafür muss ich mir an der Kasse immer die Gruselbilder auf den Verpackungen anschauen.

In unserer Welt gibt es unzählige Gefahren, kalkulierbare und unkalkulierbare. Wer kalkuliert eigentlich die Folgen für die Kinder in dieser schwierigen Zeit? Welcher Kinder- und Jugendpsychiater, welcher Lehrer oder Erzieher, wie viele Eltern sind denn in den vergangenen Wochen zu Wort gekommen? Hat sich jemand die Mühe gemacht, mal die Kinder zu fragen?

Wenn man, wie ich, nur querbegabt ist, kann man ja die Dinge nicht geradeaus zu ende denken. Ich lese die Zahlen, die uns jetzt täglich begleiten. Fast jeder hat inzwischen begriffen, was eine Exponentialfunktion ist, was die Reproduktionszahl bedeutet und die Verdopplungszahl. So viel Erfolg hatten die Pädagogen mit dem Satz des Pythagoras nie. Selten hatten Menschen so viel Interesse an Zahlen. Ich persönlich vermisse manche Zahlen. Solche zum Beispiel:
Jeden Tag sterben auf unserer Welt 18.000 Kinder unter 5 Jahren an Hunger. Jeden Tag.

Die Kriminalstatistik in Deutschland weist für das Jahr 2018 darauf hin, dass täglich durchschnittlich 40 Kinder von sexueller Gewalt betroffen sind. Dunkelziffer unbekannt. Die Jugendhilfe hat für einige Wochen Hausbesuche wegen des Kontaktverbotes streng untersagt. Kindeswohlprävention per Videochat ist für mich wie Segen vom Balkon.

Das statistische Bundesamt verzeichnet für das Jahr 2017 bei Kindern unter 15 Jahren 30 Selbsttötungen.
Welche Zahlen nimmt man denn eigentlich zum Kalkulieren? Wer vermag den Wert eines menschlichen Lebens zu ermessen? Wovon hängt er ab?

Jesus sprich: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihrer ist das Himmelsreich.“
Als Autist sind mir wenige Dinge wichtiger als Abstandsregeln. Aber eines musste ich in den vergangenen Wochen für mich lernen, Schule ohne Kinder – geht gar nicht. Da fehlt mir der kraftspendende Faktor. Gottesdienst im Fernsehen? Mal, ok. Aber es ist definitiv etwas anderes, mit lebendigen Menschen in der Kirche zu stehen und gemeinsam das Vaterunser zu sprechen. Impulse zu schreiben, Trost und Hoffnung aus der Bibel fischen ist das eine, mit meinen Kollegen, den Eltern und vor allem den Kindern in der Aula eine Andacht zu erleben, ist etwas gaaaaaanz anderes.

Man kann, meiner Meinung nach, Kraft und Hoffnung nur tanken. Zusprechen und zuwerfen geht nicht. Schön, was man alles so mit Computern machen kann. Es gibt tolle Apps und Programme, Chatmöglichkeiten und Lehrfilme, aber ich verhungere inzwischen vor Sehnsucht nach dem Lachen der Kinder in den Schulfluren und Klassenzimmern. Ich glaube, meinen Kollegen geht es ähnlich und ich bin da nicht allein. Mein Bedürfnis, wieder mit richtigen Menschen, einen richtigen Gottesdienst zu erleben, mit lebendigen Kindern in eine Schule zu gehen, sprengt gerade meine Fähigkeit, Ihnen Trost zusprechen.

Nein, ich finde Covid nicht harmlos. Nein, ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Aber ich bin ein Mensch, der seine Lebenskraft nicht aus dem Internet zu beziehen vermag. Darum ist Schule im Moment zu schwierig für mich. Ich versuche, neue Kraft aus Gottes wunderbarer Schöpfung zu ziehen, die uns umgibt. Doch dann bin ich wieder bei den Kindern und der leeren Schule und den vielen verschiedenen Vorschriften und den wenigen Zahlen, die alles begründen.

Ich bin mir nicht sicher, ob es je eine schlüssige Begründung für mich geben wird, warum man den Kindern beim Segnen nicht die Hand auflegen sollte und ob es gerechtfertigt ist, sie womöglich ohne Gottesdienst in Ferien zu entlassen, von denen keiner weiß, wie sie enden werden.

Wenn so gar nichts mehr geht, dann schaue ich immer in die Psalmen.

Psalm 31, Vers 15, 16
„Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!
Meine Zeit steht in deinen Händen.“

Woher bekommen Sie Kraft? Welche Energiespender nutzen Sie und Ihre Kinder? Wo steht Ihre persönliche Tankstelle?