Impuls für die Karwoche

Die Klagewoche oder auch Stille Woche ist angebrochen. Es ist wirklich still geworden um uns herum. Das öffentliche Leben ist nahezu zum Erliegen gekommen. Aber auch Besuche der Familie oder von Freunden fallen aus. Für den Einen ist es vielleicht eine stille Zeit, die er genießen kann. Für Andere ist es dagegen eine Zeit zu klagen.

Corona bringt mich dazu, mehr über meinen Glauben nachzudenken. Meine Fragen sind oft substanziell ethisch. Ich stelle sie Gott und warte auf Antwort. Nein, noch kein Zettel im Briefkasten auf dem eine Erklärung steht. Warten. Die Antwort in sich selbst suchen, im Kopf und im Herzen, da wo Gott wohnt.

Jesus wurde wie ein König in Jerusalem empfangen. Aber die letzte Nacht vor dem Verrat hat er allein verbracht und den Weg mit dem Kreuz musste er allein gehen. Nicht, dass zu wenige Leute drumherum waren, aber trotzdem musste er sein Kreuz tragen, seinen letzten Weg gehen. Niemand konnte es ihm abnehmen. Auch wir werden unseren letzten Weg allein gehen. Keiner kann ihn uns abnehmen. In dieser Zeit haben wir tatsächlich Zeit darüber nachzudenken. Keine Osterferienreise, kein großes Familienfest, nichts kann uns davon abhalten uns den Fragen der Karwoche zu stellen.

Vor ein paar Tagen stand plötzlich mein mittlerer Sohn vor mir, inzwischen 18, und meinte, er habe jetzt endlich die Bibel begriffen. Ich gestehe, ich war verblüfft. Wir hatten ihn getauft und konfirmiert. Doch dann hatte er für sich beschlossen, er hat es nicht so mit Gott und dem Glauben. Aus der Nummer mit dem Religionsunterricht kam er nicht mehr raus, aber Freude hat es ihm nicht bereitet und er hat sich oft beklagt, dass Meinungs- und Denkfreiheit im Reliunterricht der gymnasialen Oberstufe wenig Platz bekämen. Genau dieses Kind stand plötzlich vor mir und meinte, er hätte die Bibel verstanden und die Religion. Als ich mich von meiner Verblüffung einigermaßen erholt hatte, konnte ich nachfragen, wie er es genau meint. Naja, sagte er, er hat jetzt verstanden, dass die Geschichten in der Bibel gar nicht wahr sind. Sie wollen uns eine Wahrheit sagen. Ostern zum Beispiel ist eine Geschichte vom Los-Lassen-Müssen. Darüber konnten wir ins Gespräch kommen. Seit vielen Jahren hatte ich wieder einmal ein tiefes Gespräch mit meinen Kindern über unseren Glauben.

Ja, Ostern ist eine Geschichte vom Los-Lassen-Müssen.  Es hat nicht gereicht, Jesus zu begraben. Die Jünger und allen voran die Frauen Maria und Magdalena fanden am Sonntag ein leeres Grab vor. Damals hat man keine Auferstehung gefeiert. Die Menschen kannten die Evangelien ja nicht, sie wussten nicht, wie es weitergeht. Da sind wir fein raus und verdrängen gern den Kern des Geschehens. Zu dem Schmerz des Verlustes eines geliebten Menschen, des eigenen Kindes, des Freundes, des Heilenden, des Lehrers, des … kam die zutiefst verunsichernde Erkenntnis, dass sie nicht einmal einen Leichnam hatten. Der Tod allein war nicht genug. Sie hatten keinen Ort, an dem sie ihren Erinnerungen und Gefühlen Raum geben konnten.  An dem Tag muss eine Welt ein zweites Mal für die Menschen zusammengebrochen sein, die Jesus in den vorangegangenen Jahren begleitet und geliebt hatten.

So ist das mit dem Tod wohl. Sterben und Begraben ist das eine, Loslassen etwas anderes. Es sind zwei Seiten derselben Geschichte. Zum Glück wissen wir, wie es weitergeht. Nächste Woche werden wir die Auferstehung Christi feiern. Loslassen bedeutet nicht, dass wir etwas verlieren, sondern dass wir es ziehen lassen. Wir werden den Raum in uns finden, wo wir dem Menschen wieder und wieder begegnen können.

In der Woche nach Ostern jährt sich zum 21. Mal der Todestag meiner Mutter. Wir mussten früh loslassen. Aber wann immer ich sie suche, kann ich sie in mir finden. So wie ich nicht zum Briefkasten gehen muss, um nach Antworten zu suchen. Ich bin nicht allein mit meinen Fragen. Wenn ich sie Gott stelle, kann ich sie loslassen. Seit ich die Erzählungen von Christi Tod und Auferstehung kenne, weiß ich, dass der Tag kommen wird, an dem meine Fragen beantwortet werden. Bis dahin kann ich meinen ganzen Kummer und all meine Sorgen bei Christus lassen. Er hat sie für mich mitgenommen zum Vater im Himmel, auch wenn es am Sonntag noch nicht danach ausgesehen hat.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine gesegnete, stille Zeit. Lassen Sie los … ihre Sorgen und Nöte, die Gedanken, die immer wieder kommen. Lassen Sie sie aufsteigen in den Himmel wie Seifenblasen und vertrauen Sie auf die Güte Gottes.

Liebe Grüße
Angelika Pittelkow und das Team der Evangelischen Grundschule